„Zu den furchtbarsten Dingen wurde Musik gemacht.“ – Besuch einer Zeitzeugin am Helmholtz-Gymnasium

Anita Lasker-Wallfisch wird 1925 in Breslau, Polen, geboren, ihre Mutter Violinistin, ihr Vater Rechtsanwalt – so wächst sie mit ihren zwei Schwestern in einem sehr musikalischen und literarisch interessierten Haushalt auf. Bereits in jungen Jahren lernt sie Cello spielen. Obwohl die ganze Familie dem jüdischen Glauben angehört, wachsen alle Kinder sehr „unjüdisch“, viel mehr bildungsorientiert auf.
Mit dem Überfall der Nationalsozialisten auf Polen am 1. September 1939 und den somit geltenden Nürnberger Gesetzen wird das Leben der Familie Lasker erschwert.
Ende 1939 gelingt es der Familie die älteste Schwester Marianne mit dem Kindertransport nach England zu retten. Eigene Auswanderungsversuche der Familie scheitern. 1942 werden Anitas Eltern Edith und Alfons deportiert und ermordet. Anita selbst und ihre jüngere Schwester Renate werden zur Arbeit in einer Papierfabrik gezwungen. Mit gefälschten Dokumenten können sie und ihre Schwester mehreren Menschen, darunter auch französischen Kriegsgefangenen, zur Flucht verhelfen. Ihre eigenen Fluchtversuche scheitern jedoch. 1943 werden sie wegen Urkundenfälschung verhaftet und zu Zuchthaus verurteilt und im Dezember des Jahres wird Anita mit einem Gefangenentransport nach Auschwitz gebracht. Durch ihre zufällige Erwähnung, dass sie Cello spiele, verändert sich ihr Schicksal. Statt zügig in die Gaskammer geleitet zu werden, bekommt sie einen Platz als Cellistin im Häftlingsorchester des Lagers, somit die Sicherheit, zunächst am Leben zu bleiben.
Hauptaufgabe des Orchesters: Spielen, wenn die Gefangenen zur Zwangsarbeit gehen bzw. heimkehren, sowie bei Besuchen von Nazi-Offizieren. Durch Zufall erfährt sie, dass ihre Schwester Renate eine Woche nach ihr nach Auschwitz gebracht wurde und kann sie so wiederfinden. Gemeinsam kämpfen sie um das Überleben und unterstützen sich gegenseitig.
Im November 1944 werden beide in das Lager Bergen-Belsen transportiert, in dem die Verhältnisse noch schlechter waren als in Auschwitz ‒ viel zu viele Menschen, nahezu ohne Essen und Trinken. Massenhaft sterben die Insassen an Unterernährung und Seuchen, begraben werden sie längst nicht mehr.
Im April 1945 befreien britische Soldaten das Lager ‒ „keinen Tag zu spät, sonst hätte auch ich nicht mehr überlebt“.
Anita Lasker-Wallfisch gehört zu den ersten Zeugen des Holocausts und war ebenfalls Zeugin beim Bergen-Belsen-Prozess, bei dem elf Angeklagte zum Tode verurteilt wurden.
1946 wandert sie nach Großbritannien aus und schwört sich, nie wieder einen Fuß auf deutschen Boden zu setzen.
Im Exil gründet sie das Londoner English Chamber Orchestra, in dem sie als erfolgreiche Cellistin wirkt. Sie heiratet den Pianistin Peter Wallfisch und wird Mutter zweier Kinder.
Ihr Versprechen, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren, bricht sie in den 90er Jahren und berichtet seitdem von ihren Erlebnissen, insbesondere an Schulen. Sie gehört heute zu den letzten Überlebenden des Auschwitz-Orchesters.

Eine ihrer Vortragsreisen führte Frau Lasker-Wallfisch am 10. November 2017 an unsere Schule. Die Aula war voll mit Schülern der Kursstufe 1 und 2, zahlreichen LehrerInnen und ReferendarInnen.

Umrahmt von musikalischen Beiträgen am Cello von zwei SchülerInnen der elften und zwölften Klasse, erzählte uns Anita Lasker-Wallfisch ihre Lebensgeschichte und wie sie heute mit ihrer Vergangenheit umgeht. Anschließend konnten die SchülerInnen Fragen an die Zeitzeugin richten, die sie sich mit ihren Fachlehrern vorher überlegt haben.

Zwar liegen die Zeit des Nationalsozialismus und dessen schrecklichen Verbrechen schon mehr als 70 Jahre in der Vergangen, dennoch ist es nicht weniger wichtig geworden, über diese, aber auch von dieser Zeit zu lernen.
Mit Anita Lasker-Wallfisch bot sich für uns eine ganz besondere Möglichkeit, mehr über diese Zeit zu lernen. Sehr nüchtern las sie uns Abschnitte aus ihrem im Jahr 2000 in 15. Auflage veröffentlichen Buch „Ihr sollt die Wahrheit erben“ vor, was die Geschehnisse für uns aber nicht weniger grausam für uns machte, und gab uns somit Einblicke in ihre Lebensabschnitte. Überraschend für uns war vor allem ihr Humor, als sie unsere Fragen über ihre Erlebnisse und Begegnungen mit Nazis beantwortete.

Abschließend lässt sich sagen, dass wir alle sehr dankbar sind, für diese Gelegenheit. Wir haben viel von diesen eineinhalb Stunden mitgenommen und der eine oder andere hat jetzt vielleicht eine andere Sicht auf das Leben. Selten war es so ruhig in der Aula!

Anne-Sophie Behr K2